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Im Verlauf der Teenie- und Jugendzeit erweitert sich der Lebensraum junger Menschen. Der Einfluss des Elternhauses nimmt ab und die «Peer» wird ein zunehmend wichtiger Bezugspunkt. Hier kann christliche Jugendarbeit über stabile Beziehungsangebote einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer gesunden und tragfähigen Identität leisten.

Nun wissen wir, dass die Entwicklung nicht automatisch konstruktiv und heilsam verläuft. Das Leben irritiert und bringt leidvolle Erfahrungen mit sich: Streit, Abwertung, Verletzung, Manipulation, Überbehütung, Trennung, Krankheit, Konkurrenz, Zweifel, Liebeskummer etc. – Die Erlebnisse, die junge Menschen in ihrem Sein und Werden verunsichern, sind vielfältig.

Was ist Seelsorge?

«Seelsorge ist aus dem christlichen Glauben motivierte und im Bewusstsein der Gegenwart Gottes vollzogene Zuwendung.» §2 SeelGG.

«Mit Seelsorge ist alles Zuhören, Fühlen, Verstehen, Bestärken und Trösten gemeint, das der eine Mensch dem anderen gewährt…Seelsorge ist in diesem umfassenden Sinne nicht ein Beruf oder an einen bestimmten Beruf gebunden. Sie ist eine Haltung, die jeden Menschen qualifiziert, wenn er mit Mitmenschen in irgendwelcher Not zusammentrifft.» Christoph Morgenthaler

Seelsorge ist Beziehungsgeschehen

In der Jugendarbeit begleiten wir junge Menschen, bieten ihnen ein menschliches Du an und bringen sie in Kontakt mit dem göttlichen Du. Seelsorge hat vor allem den inneren Menschen im Blick – sein Denken, Fühlen, Wollen und Glauben. Da jeder Mensch eine Einheit aus dem inneren und äusseren Menschen ist, beachten wir auch die Leiblichkeit als wichtige Dimension (z.B. im Umgang mit ihrem Körper). Seelsorge an jungen Menschen heißt, mit ihnen gemeinsam zu entdecken, wo ihre Stärken, Gaben und Ressourcen liegen und welche Aufgaben und Begrenzungen ihnen in ihrer Lebenssituation gegeben sind. Manche Grenzen gilt es zu überwinden, andere anzunehmen. Wir wollen jungen Menschen helfen, freie, mündige und verantwortungsvolle Persönlichkeiten zu werden. Dabei adressieren wir sie nicht als hilflose Wesen, denen wir die Welt erklären. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe mit Annahme, Wertschätzung, Interesse, Respekt und Demut und entdecken gemeinsam, zu was sie befähigt sind.

Ziel der Seelsorge

Die wichtigste Beziehung des Menschen ist seine Gottesbeziehung, auch wenn diese in der Seelsorge häufig nicht die erste ist, über die wir sprechen. Meist sind es die alltäglichen Zumutungen, die Probleme machen, die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Beziehung der Jugendlichen zu sich selbst und zur umgebenden Sachwelt. In alledem halten wir Ausschau danach, wie wir das Evangelium der Liebe Gottes angemessen ins Gespräch bringen können.

«Seelsorge ist die gespannte Erwartung, was eigentlich geschieht, wenn ein Mensch in existenziell herausfordernden Lebenssituationen in Berührung kommt mit dem Evangelium von Jesus Christus.» Michael Herbst.

Seelsorge fördert

In Israel begrüsst man sich mit dem Friedensgruss «Schalom!». Im Schalom geht es um eine «lebensfördernde Geordnetheit». Alles Dasein beginnt damit, dass Gott das Chaos ordnet und uns Menschen einen Lebensraum schafft (1. Mo. 1,1). Gelingendes Leben braucht gute Strukturen im Denken, Fühlen, Wollen und Handeln. Dabei geht es nicht um pedantische Ordnung, sondern um konstruktive Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich freies Leben entfalten kann. Christus ist gekommen, «damit wir Leben in der ganzen Fülle haben» (Joh. 10,10). Dafür hat er die größte Chaosmacht unseres Lebens, die Sünde, am Kreuz überwunden und Frieden gebracht (Kol. 1,20). Diesem Vorbild folgen wir in der Seelsorge, indem wir darauf achten, was das Leben der Jugendlichen erschwert. Gemeinsam suchen wir Wege, heilsame Strukturen zu schaffen. Wir fragen danach, was ein Leben im Glauben in der aktuellen Lebenssituation bedeutet und wie der nächste Schritt aussehen kann. Dabei geht es nicht um ein krisenfreies Leben. Das ist weder realistisch noch förderlich, denn es gehört zu den Geheimnissen des Menschseins, dass Herausforderungen zu wichtigen Stationen in der Entwicklung und Reife werden können (Römer 5,3).

Die seelsorgerliche Begegnung

Zur Klärung der eigenen Rolle und des seelsorgerlichen Auftrages kann folgender «Dreiklang» helfen:

  • Wer bin ich? Seelsorge hat immer auch mit uns zu tun, denn wir bringen uns selbst mit ein und deshalb sollten wir uns und unsere eigenen Themen kennen.
  • Wer ist der andere? Es geht nicht um uns, sondern der andere steht im Mittelpunkt mit seinen Anliegen und Bedürfnissen.
  • Was ist jetzt meine Aufgabe? Soll, kann und möchte ich dem anderen ein Gegenüber sein? Habe ich die persönlichen und zeitlichen Ressourcen dafür?

Häufig geht es zunächst um erste Hilfe, eine Art «stabile Seitenlage der Seele» in Form von situativer Unterstützung durch ungeteilte Aufmerksamkeit, Zuhören, Mitfühlen, Trost, Ermutigung und Fürbitte. Daraus kann sich die weitere Begleitung oder eine Vermittlung an andere Ansprechpartner ergeben.

Seelsorge hat verschiedene Dimensionen, nicht alles ist zu jeder Zeit hilfreich:

  • Begleiten und beistehen (zuhören, einfühlen, verstehen, da sein, helfend handeln)
  • Ermutigen und trösten (motivieren, vergewissern, Kompetenzen stärken)
  • Befreien und lösen (Beichte,
  • Zuspruch von Vergebung, Versöhnung)
  • Deuten und beraten (Orientierung,
  • Wahrnehmung erweitern, Entscheidungshilfe)
  • Ermahnen und zurechtweisen (herausfordern, korrigieren, blinde Flecken ansprechen)
  • Lehren und prüfen (Glaubenslehre,
  • Wahrheit in Gnade zur Sprache bringen)
  • Gemeinschaft fördern (Räume für seelsorgerliche Gemeinschaft gestalten)

Verschwiegenheit und Grenzen

Vertraulichkeit ist wesentliche Grundvoraussetzung für wirkliche Offenheit. Nur so kann zur Sprache kommen, was Not macht. Ausnahme bei der Schweigepflicht ist eine akute Eigen- und Fremdgefährdung. Jugendseelsorge sind fachliche und rechtliche Grenzen gesetzt, so ist z.B. bei krankheitsrelevanten Problemstellungen eine ärztlich-therapeutische Abklärung notwendig. Eine begleitende Seelsorge steht dem nicht im Weg. Darüber hinaus ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und zu respektieren.

Selbstfürsorge

Wer regelmäßig anderen seelsorgerlich dient, sollte selbst seelsorgerliche oder supervisorische Begleitung in Anspruch nehmen, um im geschützten Raum Belastungen zu verarbeiten, eigene Herausforderungen zu reflektieren und das persönliche Wachstum zu fördern.

Karsten Kranzmann lebt mit seiner Frau Dyness in Wuppertal. Er arbeitet als Berater, Seelsorger, Supervisor und Referent (www.kranzmann.net).