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Ich frage eine Person in meinem Team, ob sie einen Input für einen der kommenden Anlässe vorbereiten und halten könnte. Ich würde es ihr, ohne zu zögern zutrauen. Sie sagt ab. Nach ein paar Fragen merke ich: Die Absage hat viel mit Angst zu tun. Angst, blossgestellt zu werden, Angst zu versagen, Angst, den Ansprüchen nicht zu genügen.

Wir kennen sie wohl alle in der einen oder anderen Form. Das macht sie zu etwas, was zum Menschsein dazugehört. Als Leitungspersonen scheint es mir wichtig, einen gesunden Umgang mit den persönlichen Ängsten, wie auch mit denen unserer Teenager und Jugendlichen zu finden.

Definitionen

So unterschiedlich wie die Angst selbst und ihre Auswirkungen, so fallen auch die Definitionen und Kategorisierungen aus. Eine sinnvolle Kategorisierung scheint mir Erwin Ringel zu machen. Der Arzt und Vertreter der Individualpsychologie unterscheidet vier Formen der Angst.

  • Er spricht von der Realangst. Sie ist die Reaktion auf ein Ereignis. Zum Beispiel der Bär, der einem im Wald begegnet. Die Reaktion auf Realangst ist Lähmung oder Abwehr. Die Realangst ist lebensnotwendig und lässt uns lebenserhaltend reagieren.
  • Die existenzielle Angst ist die Angst davor, seine Existenz oder sein Leben zu verlieren.
  • Die irreale Angst ist meist mit psychischen Krankheiten verbunden.
  • Die neurotische Angst basiert auf der Verdrängung von peinlichem Material ins Unbewusstsein, welches zurück ins Bewusstsein drängt und eine Bedrohung für die Persönlichkeit darstellt.

Die Angst im Leben

Aus der Definition sehen wir, dass Angst durchaus auch eine positive Wirkung hat. Sie hilft uns, das Leben zu schützen. Der Psychoanalytiker Fritz Riemann bezeichnet die Angst als notwendig für unsere Entwicklung. Sich der Angst stellen und sie bearbeiten fördert die Entwicklung des Menschen. In meinem Alltag als Leiter, sehe ich einige negative Auswirkungen von Ängsten. Potential, das aus Angst nicht ausgeschöpft wird, Beziehungen, die aus Angst nicht geknüpft oder wiederhergestellt werden und mehr, das die Angst verhindert. Doch wie finden wir einen gesunden und versöhnten Umgang mit dieser grundmenschlichen Regung? Die Geschichte in Matthäus 14,22-33 gibt da spannende Gedanken.

Ein gesunder Umgang

In der existenziellen Angst der Jünger auf dem See, kommt Jesus ihnen auf übernatürliche Weise entgegen. Ihre erste Reaktion ist Angst. Für die Jünger war das scheinbar eine richtig angstvolle Nacht. Durchaus verständlich, wenn man sich in ihre Situation hineinversetzt. Spannend die Reaktion von Jesus. Er fordert die Jünger auf, mutig und angstfrei zu sein. Dies tut er, indem er sich selbst vorstellt. An der Handlung von Petrus erkennen wir, dass dies, zumindest bei ihm, gewirkt hat. Der Sturm ist nicht gestillt, die Wellen immer noch gleich hoch. Aber weil es Jesus ist, will Petrus sogar auf dem Wasser Jesus entgegen gehen. Jedoch nur auf die Aufforderung von Jesus hin. Jesus befiehlt ihm: «Komm!» Als Petrus wieder Angst hat, als er die Wellen sieht (die waren ja nicht neu), beginnt er zu sinken. Er geht in dem unter, wovor er Angst hat. Jesus hilft Petrus sofort, als dieser zu ihm schreit. Kein Zögern, kein Vorwurf in dem Moment, sondern unmittelbare Hilfe auf den Hilfeschrei. Darauf folgt der Tadel als Kleingläubiger und die Frage, weshalb Petrus zweifelt. Daraus wird klar: Der Zweifel und die Angst sind nicht erstrebenswert. Der Tadel von Jesus zielt nicht auf die Angst, aber Jesus stellt der Angst etwas erstrebenswerteres gegenüber. Den Mut, die Rettung in der Not und den Glauben, der dem Zweifel gegenübersteht. Dabei dreht sich alles um ihn, um Jesus. Er stellt sich selbst vor und damit legt sich die Angst der Jünger.

Hier sehe ich einen ersten Gedankenanstoss im Umgang mit der Angst. Habe ich mit Menschen zu tun, die in der Angst fast untergehen, möchte ich alles daransetzen, dass sie eine Begegnung mit Jesus Christus haben, dass sie spüren, dass dieser hier und jetzt in der Angstsituation da ist. Vielleicht sogar in dem ist, was Angst macht. Wie natürlich oder übernatürlich das geschieht, ist dann zweitrangig. Das mag jetzt fromm und einfach klingen. Ich für mich ertappe mich öfter dabei, dass ich vor der eigenen Angst oder derjenigen der andern resigniere. Ich lasse sie als Charakterzug oder fehlende Begabung stehen und setze nicht alles daran, dass Jesus mir oder andern darin begegnen kann.

Jesus hilft Petrus unmittelbar in seiner Angst und Not und streckt ihm seine Hand entgegen. In diesem Moment gibt es keinen Tadel oder eine Verurteilung – einfach nur Hilfe. Wie schnell sind wir bei der Aufforderung, doch mehr zu glauben und vergessen dabei die unmittelbare Hilfe. Jesus macht das anders: Erst die Hilfe, dann die Fragen. Ich glaube, Petrus würde ein anderes Mal wieder aufs Wasser gehen. Einfach weil er weiss, dass Jesus ihn rettet, wenn alles bei ihm versagt.

Vielleicht lebst du mit dem Gedanken, dass Angst haben eine Sünde sei. Das kann dazu führen, dass wir der Angst nicht begegnen, sondern sie verdrängen. Demgegenüber steht Jesus, der selbst Angst hatte, als es gegen seine Verhaftung und seinen Tod geht (Lk 22,39-46). Angst ist nicht etwas Sündhaftes und Falsches, sondern etwas, das zum Menschsein dazugehört. Das scheint mir die Voraussetzung für einen gesunden Umgang mit der Angst zu sein. Gleichzeitig haben wir mit dem Herrscher des Universums eine Antwort auf unsere Ängste. Als solchen stellt sich Jesus in der Geschichte ja auch vor, wenn er auf dem Wasser geht.

Einen gesunden Umgang mit der Angst könnte man also so zusammenfassen:

  • Verdränge sie nicht, sie gehört zum Menschsein dazu. Anerkenne das.
    Suche in der Angstsituation die Begegnung mit Jesus und/oder schaffe Raum, damit Jesus dir und anderen Menschen begegnen kann.
  • Hilf und unterstütze Menschen in ihrer Angst und Not, ohne diese zu verurteilen. Das hilft, ein anderes Mal wieder etwas zu wagen.

Benjamin Zurbrügg arbeitet bei FEGjugend.ch und ist Teil vom Newleaders-Team.